100 kubik - raum für spanische kunst
Die Galerie "100 kubik" zeigt als einzige in Deutschland ausschließlich Kunst aus Spanien, aktuell und zeitkritisch. Zum Beispiel Fotos von Menschen, die wie eingefroren in der Luft hängen, als stumme Anklage der gesellschaftlichen Krise im Land.
Spaniens Kunst hat große Namen hervorgebracht, von El Greco bis Chillida. Doch was ist mit der heutigen Szene? Verbindliche Strömungen und Normen gibt es nicht. Dafür eine enorme Kreativität und Experimentierfreude. Diese Vielfalt nach Deutschland zu bringen, hat sich Carmen González-Borràs zur Aufgabe gemacht. Bereits seit 1998 lebt und arbeitet die Galeristin, Kuratorin und Kunstkritikerin in Köln. 2007 machte sie sich dann selbständig. Hundert Kubikmeter groß war das erste Ladenlokal an der Brüsseler Straße, und so entstand auch der einprägsame Name. Er blieb, als man 2012 in neue, größere Räume zog, ganz in der Nähe des Stadtmuseums.
Köln: mediterran, offen, kunstsinnig
Köln bleibt für Carmen González-Borras der ideale Standort: Denn hier gebe es beinahe mehr Galerien als in Madrid und Barcelona zusammen sowie renommierte Fachmessen und Museen von internationalem Rang. Doch sie schwärmt auch von der Offenheit der Menschen und dem "mediterranen Flair" einer Stadt der kurzen Wege. Ihre Spezialisierung auf die "Nische" spanische Kunst sieht sie dabei nicht als Risiko, sondern als logische Konsequenz: "Man kann nur anbieten, was man gut kennt, und das ist in meinem Fall die spanische Szene", so González-Borras der Zeitschrift "junge kunst" gegenüber. Nur eines vermisst die gebürtige Valencianerin schmerzlich: das Meer.
Sind Spaniens Künstler anders?
Jährlich präsentiert "100 kubik" fünf bis sechs Ausstellungen. Fast 40 sind es mittlerweile seit Gründung. Viele der Künstlerinnen und Künstler stellen dabei erstmals in Deutschland aus. Auf diese Vermittlungsarbeit ist man im Haus zu Recht stolz. So auch im Fall von Hugo Fontela aus Grado (Asturien), dem mit 27 Jahren aktuell jüngsten Künstler. Er gilt als 'enfant terrible' der spanischen Gegenwartskunst. "100 kubik" hat keinen geringen Anteil am wachsenden Erfolg des Künstlers, der seit 2005 in Manhattan lebt.
Man setzt auf die langfristige Förderung von Talenten, statt nur Bilder zu verkaufen. Fontelas Beispiel zeigt auch: Mehr Mobililität und schnellerer kultureller Austausch machen die Grenzen zwischen den nationalen Kunstszenen immer durchlässiger. "Trotzdem halten viele die spanische Kunst für ganz anders als die deutsche. Hier blickt man ohnehin immer zu den USA rüber", so González-Borràs. Ob und welche Unterschiede es gibt, muss der Besucher ihrer Galerie selbst erkunden.
Gemälde, Fotos, Collagen, Graphiken ...
Die von ihr kuratierten Ausstellungen zeigen die ganze Bandbreite von der Malerei über Skulpturen und Graphiken bis hin zu Collagen, Videokunst und Fotografie. Aktuell stellt "100 kubik" Skulpturen und Papierarbeiten von Enrique Asensi (*1950, Valencia) aus, noch bis zum 17. Januar 2014. Der Künstler, der selbst 25 Jahre im Ruhrgebiet gelebt hat, schafft geometrisch reduzierte Objekte aus Stein und Metall, Papier und Wachs, die eine starke Ausstrahlung und fast meditative Präsenz entwickeln. Ihre besondere Vorliebe für abstrakte Kunst hat dabei historische Gründe, erklärt mir die Galeristin.
Das Werk des Arcadio Blasco
In der Zeit des Franco-Regimes hatte es abstrakte Kunst schwer. Sie passte nicht gut zum faschistischen, nationalkatholischen Menschenbild. Bestes Beispiel hierfür ist Arcadio Blasco (1928-2013), einer der einflussreichsten spanischen Künstler der Nachkriegszeit. Sein politisches Engagement gegen das Regime brachte ihn vorübergehend sogar ins Gefängnis.
González-Borras, intime Kennerin seines Werks, hat 2007 mit Blascos Arbeiten ihre Galerie eröffnet und sagt: "Die Leute wissen sehr wenig über die spanische Kunst und Geschichte". Dabei war gerade die Kunst nach 1976 wichtig für die transición, den Übergang von der Diktatur zur Demokratie in Spanien. So gibt es in der Mohrenstraße auch immer wieder Vortragsabende zu diesen Themen.
Menschen im Stillstand
Spanische Künstler reagieren sehr sensibel auf die Schwingungen und Brüche ihrer Gesellschaft. Ein gutes Beispiel hierfür ist die aufregende Fotoserie "Un país suspendido" ("Ein Land im Stillstand") von Álvaro Martínez Alonso (*1983, Burgos). Ihm widmete "100 kubik" in diesem Jahr eine eigene Ausstellung. Seine Bilder zeigen Menschen der unterschiedlichsten Herkunft und Berufe, die gegen alle Gesetze der Schwerkraft wie eingefroren in der Luft hängen. Die Menschen bezahlen für eine Krise, die sie nicht verursacht haben, so die Aussage des jungen Künstlers. Nicht von ungefähr erinnern einige Motive an religiöse Märtyrerbilder (viele dieser Fotos zeigt El País hier).
Kunst in Zeit knapper Kassen
Durch die Krise in Spanien sind die Mittel für die auswärtige Kulturförderung knapper geworden, z.B. bei Kooperationen mit klassischen Partnern wie dem Istituto Cervantes oder für Stipendien. Hier gilt es stets neue Ideen zu entwickeln und flexibel zu bleiben. Und was ist der Unterschied zwischen spanischen und deutschen Kunstliebhabern?, frage ich. "Die Spanier entscheiden sich sofort, Deutsche überlegen es sich zehnmal, bevor sie zugreifen", antwortet sie spontan und lacht. Zumindest dem jüngeren Publikum möchte sie da mit attraktiven Konditionen entgegenkommen. Sammlerinnen und Sammler (unter 35 Jahre) können deshalb bei ihr Kunstwerke auch in Raten zahlen.
Caminante no hay camino …
Geld hin oder her, Carmen González-Borras will auch ihr Land vertreten und interkulturelle Brücken schlagen. So unterstützt "100 kubik" die gemeinnützige Organisation "Spanisches Kunst-Archiv in Deutschland e.V.", die derzeit eine Bild- und Videodatenbank aufbaut und spanische Talente fördert. Doch das Projekt ist ins Stocken geraten, Sponsoren fehlen. Carmen González-Borras bleibt zuversichtlich, mit einer überraschenden Einsicht: "Die Zukunft ist eine Sache, an die ich nicht glaube. Sonst wäre ich keine Galeristin geworden". Oder wie der Dichter Antonio Machado schrieb: "Wanderer, es gibt keinen Weg / der Weg entsteht beim Wandern". (rdb)