Hebammen, Haftpflicht und das Lied von Klaus

Der Kölner Klaus Jansen hat ein Protestlied für seine Frau Kerstin und alle anderen Hebammen in Deutschland geschrieben: En Dinger Hand. Es handelt vom unfairen Verhalten gegenüber einem uralten Berufsstand. Der selbst komponierte kölsche Song ist mehr als berechtigt. Denn die Geburtshelferinnen verdienen zu wenig und leiden unter einer immer teureren Berufshaftpflicht. Vom 1. Juli 2014 an kostet sie 5091 Euro im Jahr.

Schillplatz, Köln Nippes. Klaus Jansen hat die Gitarre dabei. Gleich wird er in die Saiten greifen, ein melodisches kölsches Lied spielen, bei dem einem das Schunkeln vergeht. Neben ihm sitzt seine Frau Kerstin, Hebamme seit 17 Jahren. Für sie hat er sich eine externe Soundkarte besorgt, das Lied geschrieben, Gitarre, Bass und Mandoline eingespielt und nach vielen Nachtschichten nun das Ergebnis präsentiert: zum Lied.

Die Helferinnen brauchen Hilfe

En Dinger Hand ist ein Song über Frauen, die wir alle in guten und schlechten Zeiten immerzu brauchen, gebraucht haben oder brauchen werden. Das sagt und singt der Liedtexter. Und es stimmt ja auch. Es sind Frauen, die sich abarbeiten, Hausbesuche machen, Säuglingshintern begutachten, Mütter aufmuntern und angehende Väter beruhigen, am Telefon Tipps geben um 3 Uhr Nachts. Die in sozialen Brennpunkten verwahrloste Zimmer sehen und sich schon mal anschreien lassen. Die losrasen, wenn die Fruchtblase platzt. Die als freie Hebammen rund um die Uhr im Einsatz sein müssen, was jede Beziehung auf eine harte Probe stellt. Und was bekommen sie dafür? 8,50 Euro die Stunde. Eine angestellte Hebamme bei Berufseinstieg 1700 Euro brutto. Vor allem in den ländlichen Gebieten mit weniger Geburten stehen die Hebammen mit dem Rücken an der Wand. Und dann noch das hier: Freie Hebammen, die nicht fest im Krankenhaus arbeiten, zahlen immer mehr ein in die Berufshaftpflicht. Da bleibt wenig übrig. Klaus Jansen hat auch deshalb das Lied verfasst. Denn nach ein paar Demos und Zeitungsberichten, sagt er, ist das Thema ziemlich verhallt. Sein neuer Sound soll laut klingen. In den Ohren des Gesundheitsministers, der Versicherer und Lobbyisten, die viel stärker sind als ein Hebammenverband.

Die Fakten zu Berufsrisiken und Versicherungen

Frauen haben ein gesetzlich verbrieftes Recht auf freie Wahl des Geburtsortes. Die Praxis sieht allerdings ganz anders aus. Denn wer im Geburtshaus, mit seiner persönlichen Geburtshelferin im Krankenhaus oder gar per Hausgeburt entbinden möchte, findet entweder gar keine Hebamme oder muss sich schon Monate vor Beginn der Schwangerschaft anmelden. Denn viele Geburtshelferinnen haben den wichtigsten Teil ihres Jobs längst an den Nagel gehängt.

Schuld sind vor allem die teuren Berufshaftpflichtversicherungen für Hebammen, aber auch geringe Pauschalvergütungen der gesetzlichen Krankenversicherungen und nicht zuletzt bürokratische Hürden. Konkret heißt das: Hebammen die Geburten begleiten zahlen - als Mitglied im Deutschen HebammenVerband e. V. von Juli 2014 an bereits 5091 Euro pro Jahr. Ab 2015 sollen die Beiträge sogar auf über 6000 Euro steigen. Summen, die sich kaum eine Geburtshelferin mehr leisten kann.

703,08 Euro Lohn pro Hausgeburt

Pro Beleggeburt gibt es pauschal 275,22 €, auch wenn die Geburt länger als zehn Stunden dauert. Hausgeburten können Hebammen mit 703,08 € abrechnen, egal wie lange sie dauern. Und spätestens am 3. Tag nach der Geburt muss die junge Mutter mitsamt Kind zu Kinderarzt oder in die Klinik. Denn dann steht das so genannte Neugeborenen-Screening auf der Tagesordnung. Dabei handelt es sich um eine schlichte Blutabnahme. Könnte jede Hebamme problemlos machen - darf sie de facto aber nicht. Denn die Krankenkassen übernimmt keine Kosten der Geburtshelferin.

Auch Hebammen sind nicht frei von menschlichem Versagen und werden bei Fehlern in die Pflicht genommen. Die immer höheren Berufshaftpflicht-Beiträge liegen aber nicht an vermehrten Fehlern, sondern an der längeren Lebensdauer der Betroffenen. Teure Behandlungen, Schadenersatz für betreuende Angehörige, aufwändige Hilfsmittel: Das summiert sich über die Jahre schon mal auf mehrere Millionen Euro. Und die klagen Betroffene und vor allem von Sozial- und Krankenkassen und den Hebammen ein.

Bereits 20 Insolvenzen trotz Versicherung

Die Berufshaftpflichtversicherer übernehmen die Kosten derzeit bis 6 Mio. €, wenn die Geburtshelferinnen über den Deutschen HebammenVerband gruppenversichert sind. Und was, wenn es teurer wird? Im Deutschen HebammenVerband, sagt Pressesprecherin Nina Martin, sind bereits 20 Hebammen in die Insolvenz gegangen. Der Verband fordert deshalb seit langem einen öffentlich finanzierten Fond, der ab einer Summe von 3 Mio. Euro greift. Bisherige Antwort der Regierung: zu teuer.

Damit nicht genug. Die Ansprüche Geschädigter verjähren erst 30 Jahre nach der Geburt. Bedeutet im Klartext: Eine Hebamme die mit 60 Jahren ein Geburt begleitet, kann bis zu ihrem 90. Geburtstag nicht ruhig schlafen. Einzige Absicherung bis dahin: eine gute Haftpflichtversicherung und die glasklare Dokumentation. Denn vor Gericht muss sie ihre Schuldlosigkeit beweisen - nicht etwa der Geschädigte.

Gesundheitsminister will begrenzte Regressansprüche

Der Gesetzgeber hat das Problem erkannt, nicht zuletzt durch den Protest der Öffentlichkeit. Am 29. April 2014 hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Abschlussbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe "Versorgung mit Hebammenhilfe" vorgelegt. Den Empfehlungen folgend schlägt er vor, die Kassen sollen Sicherungszuschläge zahlen. Im Gegenzug bekommen sie den langgehegten Wunsch nach einheitlichen Qualitätsstandards erfüllt. Damit können sowohl Kassen als auch die Hebammenverbände leben.

Dafür stößt der dritte Vorschlag Gröhes auf heftige Proteste der Kranken- und Pflegeversicherungen. Denn der Minister will deren Regressansprüche bei Geburtsfehlern deutlich begrenzen. Die Kanzlei Clifford Chance schlägt in Ihrem Rechtsgutachten (siehe Anhang des Abschlussberichts ab S. 44) eine Summe von 2. Mio. Euro vor. Für die betroffenen Kinder hat das keine Auswirkungen. Deren Behandlung ist auch weiterhin abgesichert. Den Schaden haben alleine die Kranken- und Sozialversicherungen und damit alle gesetzlich Versicherten. Und was haben die Hebammen davon? Gröhe verspricht deren Haftpflichtversicherungen eine Risiko-Minimierung. Im besten Fall geben sie diesen Vorteil an die Geburtshelferinnen weiter: durch Absenkung der Beiträge.

Und so ist die Lage der Hebammen weiter schwierig. Viele arbeiten Teilzeit, manche in einem Mix aus fester und freier Tätigkeit und ganz selbständige Hebammen gehen in die Schweiz oder wechseln den Job. Frau Martin vom Hebammenverband meint trocken: Jede Hebamme versteht die Berufshaftpflicht, und auch Ärzte zahlen hohe Summen. Doch die verdienen wenigstens gut.

Fazit: En Dinger Hand, das Solidaritäts-Lied von Klaus, bleibt vermutlich noch lange aktuell.

(tb, sb)