Manege frei: Ferienkurs in der Zirkusfabrik

Einmal auf dem Seil tanzen, am Trapez weit oben in der Luft schweben oder einen bunten Teller auf dem Stock drehen: Ein echter Kindertraum. Für Köln-Reporterin Marie und zehn weiter Kinder geht er in Erfüllung – eine ganze Woche lang. Denn sie dürfen einen Ferien-Kurs in der ZIRKUSfabrik in Dellbrück besuchen.

Am letzten Tag führen Greta, Oliver, Benedict, Tabea, Annabelle, Anton, Mailo, Mia, Marie und zwei weitere kleine Künstlerinnen ihre eingeübten Nummern vor. Eltern, Großeltern und Freunde sind begeistert. Aber vorerst liegt die ganze spannende Woche noch vor ihnen.

Zirkus ohne Zelt

Es ist ein verregneter Montagmorgen im Juli, mitten in den KiTa-Ferien. Köln-Reporterin Marie ist vor Aufregung schon ganz früh wach. Denn heute geht es zum Zirkus-Kurs. Und weil die Vierjährige nichts mehr zu hause hält, sind wir viel zu früh da.

Statt vor einem buntem Zirkuszelt stehen wir vor einer Wellblechhalle. Vor dem Eingang links ist eine kleine Bühne aufgebaut, dahinter steht ein Zirkuswagen. Heute ist er geschlossen, aber auf der Kreidetafel stehen Nudelsalat und Quark-Krake. Ein Imbiss-Verkauf also. Daneben stehen zwei Pferde. Keine echten natürlich, aber meine Tochter ist begeistert. Sogar ein Mini-Spielplatz für die Allerkleinsten gibt es hier: mit Rutsche und Sand nebst Spielzeug.

In meiner ersten Zirkus-Erinnerung schwebt der Duft von Sägespänen, Tieren und Zuckerwatte. Davon gibt es vor und in der ZIRKUSfabrik keine Spur. In der Luft hängt der feuchte Geruch von Regen, der sich mit dem Straßenschmutz vermischt. Dafür kann jeder Besucher schon im schmalen Eingangsflur – für Rollstuhl oder Kinderwagen mit Rampe ausgestattet – etwas zur Historie des Zirkus an Schildern auf der langen Wand erfahren.

Ashly Amphietheater: Der Beginn des heutigen Zirkus

Die Geschichte das Zirkus nach unserer heutiger Vorstellung beginnt im 18. Jahrhundert in England. Der Kunstreiter Philip Ashley betreibt nach seinem Militärdienst eine Reitschule. Kunstreiter sollen in speziellen Vorführungen zahlungsfähige Kunden anlocken: bevorzugt Adlige oder Militärs.

Bald kommen zu den Pferdevorführungen Seiltänzer, Akrobaten und sogenannte Spaßmacher hinzu. 1728 folgte mit Ashleys Amphitheater das erste feste Gebäude für derartige Aufführungen. Charakteristisch: die runde Manege. Noch heute das Herz vieler Zirkuszelte und perfekt für den ruhigen Gang von Pferden – eine Voraussetzung für akrobatische Höchstleitungen von Mensch und Tier.

ZIRKUSfabrik: moderne Kursräume und tolles Ambiente

Für mehr Geschichte bleibt keine Zeit. Mein Kind fasst meine Hand: ein wenig ängstlich, neugierig und ganz erwartungsvoll. Wir betreten das Atrium, das Herzstück der Zirkusfabrik. Dort befindet sich ein Café. Neben normalen Tischen und Stühlen stehen hier alte Kinosessel - plüschig rot und hölzern schwarz.

Und dann bin ich plötzlich doch im Zirkus. Denn mitten im Sitzbereich befindet sich eine kleine Manege. Hier toben die Krabbelkinder auf dicken Teppichen oder im Bällebad. Die gelben Segel an der Decke erinnern an eine Zeltspitze, auch die Musik passt. Vorhang auf, bitte!

Rings herum liegen die Kursräume mit Glaswänden - jeder mittig undurchsichtig und mit Logo der ZIRKUSfabrik versehen. Dazu kommen eine Bühne mit eine dicken rotem Samtvorhang und ein Indoorspielplatz: Eher klein, aber alle Neuankömmlinge stürzen sich begeistert ins Vergnügen. Doch nur für kurze Zeit. Denn jetzt geht’s endlich los!

Teller drehen und Schwerterkiste

Die Kursleiterin heißt Selina. Sie ist Zirkuspädagogin. Elf Kinder zwischen drei und sechs Jahren laufen mit ihr in den Raum – aufgeregt, manche ein wenig ängstlich. Wir Eltern müssen draußen bleiben. Unsere Kinder haben uns in Minuten vergessen. Denn Selina drückt jedem Kind eine Stock in die Hand, dreht einen bunten Plastik-Teller an und gibt ihn an das erste Kind weiter. Von Kind zu Kind, von Stock zu Stock, wandert er nun weiter. Und fällt nur ganz selten runter. Fast steht mir der Mund offen vor Staunen.

Eine gute Stunde später ziehen die Kleinen dicke Matten in den Raum. Selina lässt Reifen, Trapez und vertikale Tücher herunter. Alle Kinderaugen kleben an der Decke: erwartungsvoll und riesengroß. Jetzt dürfen sie alles ausprobieren. Natürlich unter fachkundiger Anleitung.

Durch das Atrium zieht der Geruch von frischer Lackfarbe. Er kommt aus einer kleinen Werkstatt. Hier ist das Reich von Peter Nitsch, dem Vater des Inhabers Sven Nitsch. Viele Requisiten baut er selber. Gerade entsteht eine Verschwinde-Kiste. Und auch die Schwerterkiste stammt aus seiner Hand. In die schlüpft im Kursraum gerade ein Kind. Alle anderen stecken stumpfe Holzschwerter quer durch. Ein toller Trick.

Zirkuspädagogen für Pänz und Große

ZirkuspädagogIn, erklärt mir Selina Pabst später im Gespräch, ist eine Zusatzsatzausbildung (BAG/ LAG). Auch die ZIRKUSfabrik bietet sie an: Dauer zwei bis drei Jahre. Selina arbeitet seit 2011 im Unternehmen. Die gelernte Kauffrau für Freizeit und Tourismus vertritt derzeit ihren Chef, denn der ist im Urlaub. Geduldig beantwortet sie alle meine Fragen - nach drei Stunden Voll-Power mit elf Kindern unter Sechs. Hut ab!

Ab Zwei Jahren dürfen Pänz hier in der ZIRKUSfabrik mitmachen. Die Minis (2-4 Jahre) probieren, futtern auch mal Poppkorn oder lassen sich schminken. Danach geht es in Alterststufen weiter: Zirkus-Flöhe (ab 4), Zirkus-Kids (6-10) – bis zu Kursen für Erwachsene. Jeder darf alles ausprobieren und sich für dann für seine Lieblingsdisziplin entscheiden. Besonders beliebt ist Luftakrobatik – von Trapez bis Reifen. Je nach Trend darf es aber auch mal das Einrand sein. Und besonders Jungs sind gerade ganz heiß auf Diabolo, verrät Selina.

Jonglieren wie in der Steinzeit

Marie und ihre neuen Freunde üben an den folgenden Tagen ihre Nummern für die große Abschluss-Show, toben, laufen über Glasscherben, springen übers Trampolin und schlagen Purzelbäume. Im Kursraum auf der anderen Seite beobachte ich den Ferienkurs für die großen Zirkus-Kinder. Ein Mädchen bewegt sich grazil am Trapez in luftiger Höhe.

Und hier sehe ich auch einen angehenden Diabolo-Künstler in Aktion. Bis fast an die Decke wirft er den Doppelkegel und fängt ihn ganz sicher wieder mit dem Seil an den beiden Handstöcken auf.

Das Spiel ist alt. Bereits in der Steinzeit haben Menschen Knochen oder Holzstücke auf einer Pflanzenschnur oder Tiersehen tanzen lassen. Auch die Chinesen kannten das Spiel mit dem tanzenden Kegel viele Hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung. Von dort aus trat es im 18 Jahrhundert seinen Siegeszug in Europa an. Die Namensherkunft von Diabolo ist unklar. Der Duden spricht von einem Fantasienamen – andere sagen Diabolo bedeutet hinüber- oder durcheinanderwerfen (vom altgriechischem diabálló) oder Teufel (griechisch Diábolos: Durcheinanderwerfer).

Und ein Teufel ist das Diabolo für mich tatsächlich. Auf einem Mittelaltermarkt habe ich mich einmal daran versucht. Stundenlang. Mit mäßigem Erfolg. Vielleicht kann ich mich darum an den Kunststücken des Jungen - er ist vielleicht Zehn - gar nicht satt sehen. Dann legt er den kleinen Teufel beiseite und beginnt mit den anderen Kindern ein neues Spiel beginnt. Schade.

Bilder-Galerie

Mit einem Klick auf ein beliebiges Bild öffnet sich die Galerie. Köln Reporter bedankt sich ganz herzlich bei allen Kindern. Das habt ihr ganz toll gemacht.

Abschluss-Show

Tag fünf. Heute ist die große Show. Eine ganze Woche lang haben Anton, Tabea, Benedict, und ihre neuen Freunde jeden Tag drei Stunden dafür geübt, getobt und ganz viel Spaß gehabt. Jetzt schlüpfen die Pänz in rote, grüne, blaue Glitzerwesten. Selina schminkt sie: Anton bekommt eine Baum auf die Wange, Köln Reporterin Marie ein rotes Herz und dazu auf die Stirn eine silberne Krone. Sie sind aufgeregt: Gleich geht es auf die große Bühne und der schwere rote Samtvorhang geht auf.

Eltern, Großeltern und Freunde klatschen zu El Mismo Sol von Alvaro Soler. Die Pänz rollen sich gekonnt über die Bühne. Benedict klettert todesmutig in die Kiste, Annabelle steckt kreuz und quer Schwerter hindurch. Die Kleinen schwingen auf dem Trapez, dem rosafarbenem Vertrikal-Tuch, stellen sich auf Glasscherben, zeigen sich als Clowns. Milo – der Kleinste – lässt einen Teller erst auf seinem Stock, dann auf dem Finger drehen und ist plötzlich ganz groß. Er bekommt tosenden Applaus und verbeugt sich. Zum Schluss verabschieden sich alle kleine Zirkus-Künstler und ihre Dompteurin Selina lautstark.

Der letzte Ton verhallt, das begeisterte Klatschen der Zuschauer auch. Die Pänz haben ihre Sache toll gemacht. Und zum Abschied glitzert auch mal eine Träne in den Augen. Sicher kommen sie wieder, hierher nach Dellbrück in die ZIRKUSfabrik. Vielleicht schon nach den Sommer-Ferien zum nächsten Kurs. Und darum heißt es diese Mal nicht op Kölsch Tschööö, sondern Auf Wiedersehen. (sb)