Geschichte des Kölner Zoos: der Archivar
Seit 1860 gibt es den Kölner Zoo schon. Und ebenso lange Dokumente zum Tierpark. Was ist eigentlich aus ihnen geworden? Und wie hat sich der Einsturz des Stadtarchivs ausgewirkt? Wir haben den Archivar Ralf Becker getroffen. In seinem Arbeitszimmer über der Zooschule.
von Tobias Büscher
Aktenordner mit kolorierten Tierpostkarten, Dia-Kästen und 8-Zoll-Floppy-Datenträger, dazu Super 8-Filme und handschriftliche Aufzeichnungen vom Tierkauf in Sütterlin-Schrift. Das Reich des ehemaligen Bankers Ralf Becker (*1961) ist ein großes Zimmer mit Holzdach. Dort führt er seit 2014 die Arbeit seines Vorgängers und Freundes Wilhelm Spieß fort. Eine Mammut-Aufgabe mit dem Ziel, das historische Erbe des Tierparks zu dokumentieren und zu bereichern.
Ralf Becker macht das ehrenamtlich. Und hat im wahrsten Sinne des Wortes Rentnerstress. Denn während er System in die Dokumente bringt, kommen schon mal kuriose Bitten. Aus Frankreich bekam er unlängst die Anfrage, ob asiatische Hunde, welche die SS bei einer Tibet-Exkursion 1938 mit nach Deutschland gebracht hatte, in den Kölner Zoo gelangt seien. Dann wieder ruft ein Hotel an, ob er Elefantenbilder schicken könne für die Wandgestaltung eines neuen Zimmers. Und Architekturstudenten bitten um Erlaubnis, den Affenfelsen zu erforschen. Für ein Minimodell in 3 D.
Erst Insekten, dann Kölsch
Becker ist ein ruhiger Mann und lässt sich Zeit für solche Dinge. Auch für unser Interview. Von draußen erklingt das Mäh und I-aaah aus dem Clemenshof, drinnen zeigt er Bilder. Und was für welche: Den Zooausweis einer hübschen Kölnerin aus dem Jahr 1888. Ein Zebra am Friesenplatz nach der Bombardierung des Zoos im Zweiten Weltkrieg. Eine Zeichnung von einem Tiger aus dem 19. Jahrhundert, der einen Hund als Amme hatte. Ein Insektarium, wo 1905 Bienen und Schmetterlinge lebten. Wobei die Besucher so spärlich waren, dass an dieser Stelle 1929 die Eisbären-Schenke entstand: „Und plötzlich war die Bude voll. Dank der Kölschfässer“. Becker arbeitet mehr als 35 Stunden die Woche, auch von seinem Haus in Bergisch Gladbach aus. Auch sonntags. Er spricht mit beachtlichem Detailwissen, kann aber auch ganz kurz antworten. Haben Sie ein Haustier? Nö. Haben Sie ein Lieblingstier im Zoo? Nö. Der Mann hat so viel zu tun, dass er nur sehr selten durch den Tierpark spaziert. Obwohl er bereits als Dreijähriger hier war und schon 1989 Zoobegleiter geworden ist.
400 Millionen Daten und verschollene Dokumente
Die Zoomitarbeiter haben heute Zugriff auf eine Wildtierdatenbank mit über 400 Millionen Daten. Doch wenn es um historisches Material geht, wird es spärlich. Dazu kommt der Einsturz des Stadtarchivs, bei dem zahlreiche Originale in Gefahr gerieten. Wie viele davon erhalten sind, ist noch unklar. Ebenso der Prozess der Restauration. Becker wörtlich: „Vielleicht melden die sich ja mal“. Zum Glück hat der Zoo Kopien angelegt, etwa von Anstellungsverträgen im Original. Früher, sagt der Mann, habe das Archiv im Zoo in einen Aktenschrank gepasst. Bis Spieß kam. Und dann Becker. Die Stelle haben sie selbst erschaffen. Ohne Arbeitsvertrag. Und dabei in Eigenregie das historische Erbe sichtbar gemacht, wie es sonst kaum ein promovierter Historiker und gelernter Archivar in der Domstadt hinbekommt. Zoodirektoren wie Pagel haben den Tierschutz und die Pflege im Fokus. Ehrenamtliche Archivare wie Becker bringen System in die Geschichte. Auch in anderen Zoos in Europa ist das so. Wobei der Wiener Zoo gleich mehrere Archivare angestellt hat. Wohl auch, weil er rund 100 Jahre älter ist und einzigartiger seit der Doppelmonarchie dort.
Becker sammelt Dokumente, bekommt von Tierfreunden Fotos aus Nachlässen. Und sorgt sogar für den Erfolg bei Ersteigerungen. Etwa die des Zooführer-Buchs von 1864, das bei einem Verleger aus Münster unter den Hammer kam. Der Tierpark zahlte für dieses wohl schönste Publikumsbuch des Zoos mehrere Hundert Euro. Überhaupt sind die historischen Zeichnungen und Fotos bei Freaks sehr beliebt. Für 100 Jahre alte Nashornbilder zahlen sie gut. Bücher zur Geschichte des Kölner Zoos dagegen finden weniger Beachtung, etwa die von Bachem und Emons. „Die landen schon bald nach der Veröffentlichung auf dem Wühltisch“, weiß der Mann.
Zoohefte als Recherchepool
Die vielen alten Zooführer sind als illustrierte Hefte besonders gut erhalten. Und auch sie helfen Becker bei der Recherche des früheren Tierbestands. So stellte er fest, dass Geißbock Hennes vom FC keineswegs der erste Bock im Kölner Tierpark ist. Es gab in Schwarzweißzeiten sogar mal einen Bergziegenfels, von dem aus die Besucher bis nach Mülheim rüber gucken konnten.
Ex-Banker entdeckt Preis von weißen Mäusen
Der ehemalige Banker hat eine Vitrine voller Karnevalsorden mit Zootiermotiven im Arbeitsraum. Inflationär viele Fotos von Nashörnern. Und Zugriff auf kuriose Zahlen. So legt er während des Gesprächs einen Band mit feinsäuberlichen handschriftlichen Infos zum Kauf und Verkauf von Tieren auf dem Tisch. Aus den 20er Jahren beispielsweise, als 25 weiße Mäuse 8,70 Reichsmark kosteten. Und ein Löwe 800. Bis die Inflation im Jahr 1924 die Kaufsummen um mehrere Nullen in die Höhe schießen ließ.
Becker ist das Gedächtnis des Zoos. Er weiß von der ersten Tapir-Geburt 1888 genauso viel wie über den Eisbärkampf, bei dem ein Männchen ein Weibchen wegen Futterneid zu Tode biss. Die Zeichnung dazu ist übrigens ein Fake. Mitarbeiter sind zu sehen, die die beiden mit Stangen auseinandertreiben wollen. Nur das Gitter dazwischen hat der Künstler weggelassen. Für die Leser der Illustrierten sollte es dramatisch aussehen.
Alle hier gezeigten historischen Bilder stammen aus dem Archiv des Kölner Zoos. Wir bedanken uns bei Ralf Becker für diese schönen Motive. Die mehr aussagen als jeder Text.