
Jüdisches Leben in Köln
Die jüdische Gemeinde in Köln hat heute 4500 Mitglieder. Einer von ihnen ist Aaron Knappstein. Wir haben mit ihm das NS- Dokumentationszentrum besucht, das ehemalige Gestapo Hauptquartier und einige weitere Mahnmale. Und über eine Zeit gesprochen, die zeigt: Vergessen ist keine Option.
„Nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern durch meinen Geist, spricht der Herr der Heerscharen."(Secharja IV, 6). Mit diesen Worten lädt die Inschrift an der Synagoge in der Kölner Roonstraße gläubige Juden Kölns und der Umgebung zum Gebet und Gottesdienst ein. Heute hat die jüdische Gemeinde 4500 Mitglieder, vor der Schoah waren es 20 000. Köln ist die älteste jüdische Gemeinde Deutschlands, erstmals 321 n. Chr. in einem Dekret des Kaisers Konstantin erwähnt. Das ist lange her. Und heute?
Gemeinsam mit Aaron Knappstein suchen wir, rund 15 Männer und Frauen, nach Spuren des jüdischen Kölns während der Zeit des Nationalsozialismus. Die Führung beginnt am NS-Dokumentationszentrums auf dem Appellhofplatz. „Es ist dies das unmittelbarste Zeugnis des NS-Regimes“, erklärt Aaron Knappstein, selbst Jude und für sechs Jahre im Vorstand der liberalen jüdischen Gemeinde Köln-Riehl tätig.
NS-Dokumentationszentrum als Mahnmal
Es ist beinahe ein Hohn: Ausgerechnet dieses Haus hat im 2. Weltkrieg keine Delle abbekommen. Hier agierte von 1935 bis 1945 die Kölner Gestapo. Im Keller befindet sich im ehemaligen Zellentrakt seit 1981 eine Gedenkstätte. Mit über 2000 in Stein verewigten Inschriften von 400 Menschen, welche die Gestapo hier eingesperrte, folterte und schließlich im Hof erschoss oder erhängte.
Nur einen Steinwurf entfernt liegt das Gebäude des ehemaligen Amts- und Landgerichtes. Dort fällten NS-Richter auf Grundlage der „Rassengesetze“ und „Rasenschande“ Urteile gegen Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Sozialisten, Kommunisten und andere „Feindes des Reiches“. Später sollte das Gebäude Schauplatz eines Aufsehen erregenden Prozess werden, emotional begleitet von zahlreichen Opfern und ihren Angehörigen.
NS-Verbrecher Lischka vor Gericht
In unmittelbarer Nähe zu seinem ehemaligen Arbeitsplatz im Kölner Gestapo-Hauptquartier stand der ehemalige Gestapochef Kurt Lischka 34 Jahre nach der NS-Zeit vor Gericht. Lange lebte er unter seinem richtigen Namen in Köln als Prokurist, bevor der Deutsche Bundestag die strafrechtliche Verfolgung des NS-Verbrechers schließlich möglich machte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte 42 Monate lang und stellte Lischka 1979 vor das Kölner Landgericht am Appellhofplatz. Tatvorwurf: Der Mord an über 70 000 Juden. Das Urteil lautete zehn Jahre Haft, doch nach sechs Jahren kam Lischka wegen „guter Führung“ frei und starb 1989 in einem Brühler Seniorenheim.
Pergola der Deserteure
„Hommage den Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Menschen die sich weigerten zu töten die Menschen die sich weigerten zu töten (...)“ Dieser Kettentext, den Opfern der NS-Militärjustiz gewidmet, stammt vom Künstler Ruedi Baur. Auf den Tag genau 70 Jahre nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen wurde das Mahnmal am 1. September 2009 eingeweiht. Aaron Knappstein weist ausdrücklich darauf hin. Denn auch die Soldaten, die sich weigerten auf Menschen zu schießen, sind stille Helden einer schrecklichen Zeit.
Große Judaica im Kölnischen Stadtmuseum
Und wieder sind es nur wenige Schritte zum nächsten Zeitzeugen: dem Kölnisches Stadtmuseum. Es beherbergt eine große Sammlung von Judaica, also Zeugen der jüdischen Geschichte. Bereits 1933 lagerte die damalige Museumsleitung alle Stücke dieser Sammlung ein und bewahrte sie so vor dem Zugriff des Hitler-Regimes. Zu den rund 2000 Exponaten gehören ein Grabstein aus dem 14 Jh. der Mädchen Namen Lea und Rachel sowie verbrannte Torah-Rollen aus der Reichspogromnacht am 8./9. November 1938.
Familie Oppenheim und die „Volkskraftzersetzung“
In der zentralen Elisenstraße, die an das NS-DOK grenzt, wohnte die Familie Salomon Oppenheim. Das Bankhaus Sal. Oppenheim war bis zur Übernahme durch die Deutsche Bank 2010 eine der ältesten Privatbanken Deutschlands. Wobei die Homepage der Bank keinerlei Hinweise darauf gibt, dass Sal. Oppenheim einst ein jüdisches Bankhaus war. Firmengründer Salomon Oppenheim (1772-1828) eröffnete mit gerade einmal 17 Jahren ein Kommissions- und Wechselhaus. Seine Investitionen in den Eisenbahnbau und in das moderne Versicherungswesen waren überaus erfolgreich. Das Bankhaus überstand elf Herrschaftssysteme und zwei Weltkriege.
Längst war die Familie zum Christentum übergetreten. Doch für das Hitler Regime blieben sie „Mischlinge zweiter Klasse“, ihr Unternehmen galt als „jüdisches Eigentum“. Teilhaber Robert Pferdemenges führte das Bankhaus deshalb seit 1938 unter seinem eigenen Namen (bis 1947) weiter und rettete dadurch den Besitz. Doch die Familie lebte gefährlich. Waldemar und Carl Friedrich Oppenheim kamen 1944 nach einem gescheiterten Attentat auf Hitler in Haft. Waldemar entkam, doch sein Bruder sollte wegen „Volkskraftzersetzung“ erschossen werden. Was die US-Armee in letzter Minute verhinderte.
Dabei waren die Oppenheim immer eine große Hilfe für Köln. Abraham Oppenheim investierte viel Geld in die Fertigstellung des Kölner Doms. Eduard und Albert Oppenheim halfen bei der Gründung des Ostasiatischen Museums, des Kunstgewerbemuseums, der Flora und des Kölner Zoos ...
Sturmabende im Bethlehemer Hof
Nur wenige Häuser weiter lebte die Familie Simon und Rahel Apfel. Rahel Apfel war eine direkte Nachfahrin von Heinrich Heine und lud in ihr Haus viele zionistische Redner ein. Die beiden verstarben noch vor der Nazi Zeit und ihr Sohn Samuel heiratete später eine Nicht-jüdische Frau. Da er sich den Auflagen des Hitlerregimes nicht beugen wollte wanderte er gemeinsam mit seinem Sohn nach Argentinien aus. Seine Frau und seine Tochter blieben in Deutschland. Als die Gestapo sie deportieren wollte flohen sie gemeinsam mit der Schwägern nach Bergheim, wo sie der Gastwirt des „Bethlehemer Hofes“ auf dem Dachboden versteckte.
Für die Nazis war der Mann kein Unbekannter, der Katholik galt als „Judenfreund“. Er weigerte sich vehement, seine Gaststätte in Adolf Hitler Hof umzubenennen und die SA veranstaltet daraufhin regelmäßig ihre Sturmabende ausgerechnet bei ihm. Ein Freund in der Stadtverwaltung gab damals Rückendeckung: Wann immer diese Abende bevorstehen, warnte er den Wirt. Die drei Frauen mussten sich dann auf dem Hof unter Kartoffelbergen verstecken, bis die SA wieder abrückte. Durch den Mut dieses Bergheimer Gastwirtes überlebten Mutter und Tochter. Die Schwägerin indes ertrug den Druck der Nazis nicht und verübte vor Kriegsende Selbstmord.
Die Kinder vom Schulhof nebenan
Als sich 1798 die ersten jüdischen Familien wieder in Köln ansiedelten (seit 1424 galt ein Ansiedlungsverbot), wuchs die Gemeinde schnell. In der St. Apern-Straße entstand eine neue orthodoxe Synagoge, 1899 folgte die liberale Synagoge in der Roonstraße. Anfangs verstanden sich beide jüdischen Gemeinden gut, doch als die liberale Gemeinde sich für den Kauf einer modernen Orgel entschied, war das Maß für die orthodoxen Juden voll. 1906 bildeten sie die Austrittsgemeinde Adass Jeschurun (Gemeinschaft Israels). Die preußische Regierung erkannte sie als Körperschaft des öffentlichen Rechtes an. So wurde sie zur Dachorganisation für die unterschiedlichen jüdischen Gemeinden in Köln. Adass Jeschurun errichtete ein eigenes Schulsystem mit Lehrerseminar, der Übungsschule Moriah und dem privaten Jawne-Gymnasium. Sie war damit die einzige weiterführende jüdische Schule im Rheinland.
Der letzte Studiendirektor der Jawne (benannt nach einem Ort bei Tel Aviv), Dr. Erich Klibansky, erkannte die Gefahren des Naziregimes sehr früh. Gemeinsam mit seinen Lehreren oganisierte er Kindertransporte auf nach England und rettete damit mindestens 130 jüdischen Kindern das Leben. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war das nicht mehr möglich. Und 1942 wurden er, seine Familie und 1100 jüdische Kinder nach Minsk deportiert. Und direkt auf den Gleisen erschossen. Nicht ein einziger überlebte. Seit 1990 heißt der ehemalige Schulhof der Jawne Erich-Klibansky-Platz. Mittelpunkt bildet ein Brunnen, bewacht vom Löwen von Juda, der die zehn Gebote in die Höhe hält (gestaltet von Hermann Gurfinkel – einem der geretten Kinder). Auf dem Außenrand des Brunnen sind die Namen aller 1100 Kinder eingelassen. Auf dem ehemaligen Schulgelände der Jawne Schule entstand der Kölner Lern- und Gedenkort (http://www.jawne.de/content/lern__und_gedenkort) mit einer von der Historikerin Cordula Lissner konzipierten Ausstellung „Die Kinder vom Schulhof nebenan“.
Schoah - nicht nur ein Wort
Mittlerweile ist das jüdische Leben wieder ein Teil von Köln. 4500 jüdische Mitbürger zählen die beiden jüdischen Gemeinden in Riehl und in der Roonstraße. Und während die Gemeinde in der Roonstraße einst die liberalen Juden vertrat, so ist sie heute eine orthodoxe Gemeinde. Die Liberale jüdische Gemeinde befindet sich in Köln Riehl. Aaron Knappstein ist in beiden Gemeinden aktiv. Vor 1933 gab es rund 20 000 Kölner Juden. Die Schoah hat tiefe Spuren hinterlassen. Und Juden in aller Welt nennen die Zeit der deutschen Judenverfolgung zwischen 1933-1945 nicht wie allgemein üblich Holocaust.
Das griechische Wort holocaustos bedeutet vollständig verbrannt und galt den Brandopfern, die Gott zu Gefallen dargeboten wurden. Und Gott zum Gefallen war der Völkermord an sechs Millionen Juden in Europa sicher nicht. Daher haben die Juden einen eigenen Begriff für diese Zeit – Schoah. Er geht zurück auf Jes 10,3, als Jesaja die Bevölkerung des Nordreiches vor ihrem Untergang warnt. Im Neuhebräischen dient die Schoah ausschließlich der Beschreibung der Gräueltaten durch die Nationalsozialisten. Die deutsche Sprache hat nie einen eigenen Begriff für die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung entwickelt.
Auch an Karneval war Köln, zumindest unterm Hakenkreuz, für Juden alles andere als eine jecke Zeit. Doch heute ist das anders, auch für Aaron Knappstein. Der Mann organisiert nicht nur intelligente Führungen durch das jüdische Köln. Er war auch schon eine gefeierte Type in der fünften Jahreszeit: als 1. Offizier der StattGarde Colonia. (Cornelia Bremer)