Stonewall-Held in Köln
Im Juni 1969 hat Tree Sequoia in der New Yorker Kneipe Stonewall Inn den Kampf der Schwulen gegen die Polizei miterlebt. Nun war er Gast in der Kölner Schwulenkneipe Ex-Corner. Und hat anlässlich der Cologne Pride 2019 von dem Aufstand vor 50 Jahren erzählt.
Lebhaft geht es gestern in der Szenekneipe Ex Corner in der Schaafenstraße zu. Und es ist brechend voll. Nur von meinen Kollegen sind weniger da, als wenn der Kölner Zoo eine neugeborene Sitatunga vorstellt. An der Fassade hängen historische Bilder vom Aufstand in New York. Unter Moderation von Hugo Winkels erzählt Tree Sequoia im Kneipeninnern von den brutalen Übergriffen der Staatsgewalt damals. Und wie der einstige Barkeeper sich dagegen wehrte.
Er lieferte sich mit seinen Mitstreitern fünf Tage lang einen Straßenkampf mit der Polizei. Und ist einer der Urväter des CSD, der am Wochenende auch in Köln läuft. Das Publikum in der Kneipe begeistert er zwischendurch mit Ausrufen wie: „look, there is my future ex-lover!“ Ist das kein Thema für die Medien? Wo waren die alle gestern? Wenn ein Zeitzeuge erster Güte nach Köln kommt?
Schlachtruf: Gay Power
Rückblick: Am Samstag, 28. Juni 1969 kurz nach Mitternacht, schlugen die Schwulen, Transen und Lesben in Bar Stonewall in der Christopher Street zurück. Einige von ihnen waren kaum 15 Jahre alt, wie Tree erzählt. Polizisten hatten die rund 200 Gäste zunächst zur Kontrolle umstellt. Wie so oft. Die Bar, in der Hand der Mafia, wollten sie räumen.
Doch dann flogen die Fäuste, vornehmlich von schwarzen Dragqueens, Prostituierten und Obdachlosen. Schlachtruf: Gay Power. Sie setzten sogar eine abmontierte Parkuhr ein, und boten damit den Schlagstöcken Paroli. Die Stimmung war auch deshalb so aufgeladen, weil sie erst kurz zuvor ein Idol zu Grabe getragen hatten: Die Schauspielerin Judy Garland (Der Zauberer von Oz). Viele Schwule verehrten den Hollywood-Star damals. Auch weil sie Fragen zu ihrer schwulen Fangemeinde oft so konterte: „Das ist mir sowas von egal, ich bin für alle da“. Sie starb mit 47 an einer Überdosis Schlaftabletten.
Vietnam-Demonstranten unterstützen Homosexuelle
Der damalige Aufstand gilt als Meilenstein im Kampf für die Rechte von Schwulen und Lesben weltweit. Razzien gehörten zum Programm in dieser Zeit. Und die Bar, eine der ärmsten der Stadt in unmittelbarer Nähe zu Harlem, war ein besonders beliebtes Ziel der Polizei, erzählt Tree. Die Gesetzeslage in den USA war restriktiv gegenüber Schwulen. Gleichgeschlechtlicher Sex stand höchstrichterlich unter Strafe.
Schwulsein galt medizinisch als Krankheit, arbeitsrechtlich als Kündigungsgrund. Und wer als Frau Männerkleider trug oder umgekehrt, so Tree, landete in Untersuchungshaft. Und vor allem: Er hatte während des fünftägigen Aufstands keine Ahnung von den Folgen weit über New York hinaus. Und wie sein Leben noch verlaufen sollte.
Damals verbündeten sich viele Demonstranten mit den Homosexuellen, die gegen den Vietnamkrieg protestierten. Diese Demos waren extrem stark und linksliberal, womit auch eine Solidarität mit den rebellischen Schwulen bestand. Schon kurz nach den Stonewall Riots gründeten sich die ersten Schwulenverbände in den USA. Gay-Zeitungen entstanden. Und ein Jahr nach der Rebellion kam es im Juni 1970 zu der ersten echten Schwulendemo, die wir heute als Christopher Street Day kennen.
„Bloß keine Fotos von mir“
Tree hatte damals keine Ahnung von der Initialzündung, die er und seine Mitstreiter auslösten. Er erinnert sich, wie damals zwei Polizisten einen vermeintlichen Mann im Stonewall Inn an die Wand drücken wollten. Und dabei die Frau mit aufgeklebtem Bart kaum in den Griff bekamen. Und wie er selbst vor allem Angst hatte vor dem eigenen Gesicht in der Tageszeitung: „Meine Familie hatte keine Ahnung, dass ich schwul bin“.
Ich sammel Penisse wie andere Briefmarken
Tree selbst hat inzwischen über 10.000 Interviews weltweit geführt. Auf die Frage des Moderators, warum er nie in die Politik gegangen ist, etwa auch als Regierungschef: „Ich war viel zu schwul für die Politik damals.“ Und heute? „We don´t have a President“.
Und was seine Lieblingsbeschäftigung sei? „Ich sammel Penisse. In Form von Fotos. Na und? Andere sammeln Briefmarken. Ich werde sie irgendwann in New York als Modern Art ausstellen.“
Köln wird er noch eine Weile erleben. Doch dann muss Tree zurück. Er ist nach wie vor Barkeeper im Stonewall Inn. Wie vor 50 Jahren. Der 80jährige Veteran arbeitet von Donnerstag bis Samstag jeweils 10 Stunden am Stück. Und bereut das gar nicht: „Sehen gut aus, die Jungs“. Und setzt noch einen drauf: „Und ihr hier im Publikum auch“.
CSD in Köln am Wochenende
Hoch her geht es in Köln beim jetzigen CSD-Wochenende, wenn auch weitaus friedlicher. Zigtausende sind wieder dabei, wenn Conchita Wurst, Marusha und Co auftreten. Am Sonntag geht ab 12 Uhr dann die CSD-Parade durchs Zentrum. Von der Deutzer Brücke über die Ehrenstraße, Heumarkt, Gürzenichstraße bis zu Unter Sachsenhausen.
Hoch auf dem ersten Wagen ist dann Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Recker zu sehen. Trotz Morddrohung vor einigen Tagen macht sie mit. Und neben ihr wird der Moderator des gestrigen Abends stehen: Hugo Winkels. Der einst erste schwule Karnevalsprinz der Domstadt. Der Tree an dem Abend noch zuzwinkerte: „So ein Leben wie Du hätte ich auch gerne ...“(tb)